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Quelle: Marx Engels Werke, Dietz Verlag Berlin (DDR), 1983, Band 1, S. 172 - 199
Original: Rheinische Zeitung, Nr. 15 (15. Januar 1843)
Geschrieben: Ende Dezember 1843 bis Mitte Januar 1843
 

Karl Marx

Rechtfertigung des ++-Korrespondenten von der Mosel1) 


["Rheinische Zeitung" Nr. 15 vom 15. Januar 1841]

<172> ++ Von der Mosel, im Januar. Die Nr. 346 und Nr. 348 der "Rheinischen Zeitung" enthalten zwei Artikel von mir, wovon der eine die Holznot an der Mosel, der andere die besondere Teilnahme der Mosellaner an der königlichen Kabinettsordre vom 24. Dezember 1841 und der durch sie bewirkten freieren Bewegung der Presse betrifft. Der letzte Artikel ist in grobe und, wenn man will, rohe Farben getaucht. Wer unmittelbar und häufig die rücksichtslose Stimme der Not in der umgebenden Bevölkerung vernimmt, der verliert leicht den ästhetischen Takt, welcher in den feinsten und bescheidensten Bildern zu sprechen weiß, der hält es vielleicht sogar für seine politische Pflicht, auf einen Augenblick öffentlich jene populäre Sprache der Not zu führen, welche er in seiner Heimat zu verlernen keine Gelegenheit fand. Handelt es sich nun aber darum, die Wahrheit solcher Worte zu beweisen, so kann wohl schwerlich der Beweis bis auf den Wortlaut gemeint sein, denn in dieser Rücksicht würde jedes Resümee unwahr sein, und es wäre überhaupt unmöglich, den Sinn einer Rede wiederzugeben, ohne die Rede selbst zu wiederholen. Wurde also z. B. behauptet: "Man hielt den Notschrei der Winzer für freches Gekreisch", so wird billigerweise nur verlangt werden können, daß eine ungefähr richtige Gleichung gezogen sei, d. h., daß ein Gegenstand nachgewiesen werde, der die resümierende Bezeichnung "freches Gekreisch" einigermaßen aufwiegt und zu einer nicht unpassenden Bezeichnung macht. Ist diese Probe geliefert, so kann es sich nicht mehr um die Wahrheit, sondern nur mehr um die sprachliche Präzision handeln, und schwerlich möchte ein mehr als problematisches Urteil über die verschwindend feinen Nuancen des sprachlichen Ausdrucks gefällt werden können. -

<173> Zu vorstehenden Bemerkungen veranlassen mich zwei Reskripte des Herrn Oberpräsidenten von Schaper in Nr. 352 der "Rheinischen Zeitung", de dato: "Koblenz, 15. Dezember", worin mir in bezug auf meine beiden oben angeführten Artikel mehrere Fragen auferlegt werden. Die verspätete Erscheinung meiner Antwort ist zunächst durch den Inhalt dieser Fragen selbst veranlaßt, indem ein Zeitungskorrespondent nach bestem Gewissen die ihm zu Ohren kommende Volksstimme mitteilt, keineswegs aber auf ihre erschöpfende und motivierte Darstellung im Detail, in den Veranlassungen und den Quellen derselben vorbereitet sein muß. Abgesehen von dem Zeitverlust, von den vielen Mitteln, die eine solche Arbeit erfordert, kann sich der Korrespondent einer Zeitung nur als ein kleines Glied eines vielverzweigten Körpers betrachten, an dem er sich eine Funktion frei auserwählt, und wenn etwa der eine mehr den unmittelbaren von der Volksmeinung empfangenen Eindruck eines Notzustandes schildert, wird der andere, der Historiker ist, dessen Geschichte, der Gemütsmensch die Not selbst, der Staatsökonom die Mittel, sie aufzuheben, besprechen, welche eine Frage wieder von verschiedenen Seiten bald mehr lokal, bald mehr im Verhältnis zum Staatsganzen etc. gelöst werden kann.

So wird bei lebendiger Preßbewegung die ganze Wahrheit in die Erscheinung treten, denn wenn das Ganze zuerst auch nur als ein bald absichtlich, bald zufällig nebeneinander laufendes Hervorheben der verschiedenen einzelnen Gesichtspunkte zum Vorschein kommt, so hat endlich diese Arbeit der Presse selbst einem ihrer Glieder das Material bereitet, aus dem er nun das eine Ganze schaffen wird. So setzt sich die Presse nach und nach durch die Teilung der Arbeit in den Besitz der ganzen Wahrheit, nicht indem einer alles, sondern indem viele weniges tun.

Ein anderer Grund der Verspätung meiner Antwort liegt darin, daß die Redaktion der "Rheinischen Zeitung" nach dem ersten Bericht, den ich ihr einsandte, noch mehrere ergänzende Aufschlüsse, ebenso nach einem zweiten und dritten Berichte noch Zusätze und diesen Schlußbericht begehrte, endlich teils mich selbst um Mitteilung meiner Quellen ersuchte, teils sich bis dahin die Publikation meiner Einsendungen vorbehielt, wo sie selbst auf anderem Wege die Bestätigung meiner Angaben erlangt habe. < Indem wir die obigen Angaben bestätigen, bemerken wir zugleich, daß die verschiedenen sich wechselseitig interpretierenden Briefe eine Zusammenstellung von unserer Seite nötig machten. Die Red. d. "Rh. Ztg.">

Meine Antwort erscheint ferner anonym. Ich folge darin der Überzeugung, daß zum Wesen der Zeitungspresse Anonymität gehört, die eine <174> Zeitung aus einem Sammelplatz vieler individueller Meinungen zu dem Organ eines Geistes macht. Der Name schlösse einen Artikel so fest von dem andern ab, wie der Körper die Personen voneinander abschließt, höbe also seine Bestimmung, nur ein ergänzendes Glied zu sein, völlig auf. Endlich macht die Anonymität nicht nur den Sprecher selbst, sondern auch das Publikum unbefangener und freier, indem es nicht auf den Mann sieht, welcher spricht, sondern auf die Sache, die er spricht, indem es von der empirischen Person ungestört die geistige Persönlichkeit allein zum Maß seines Urteils macht.

Wie ich aber meinen Namen verschweige, so werde ich in allen Detailangaben Beamten und Gemeinden nur dann nennen, wenn gedruckte, im Buchhandel befindliche Dokumente angezogen werden oder wenn die Nennung des Namens ganz harmlos ist. Die Presse muß die Zustände, aber sie darf meiner Überzeugung nach nicht die Personen denunzieren, es sei denn, daß einem öffentlichen Übel nicht anders zu steuern wäre oder daß die Publizität schon das ganze Staatsleben beherrscht und also der deutsche Begriff der Denunziation verschwunden ist.

Am Schlusse dieser einleitenden Bemerkungen glaube ich die gerechte Hoffnung aussprechen zu dürfen: daß der Herr Oberpräsident nach Durchlesung meiner ganzen Darstellung sich von der Reinheit meiner Absicht überzeugen und selbst die möglichen Irrtümer aus einer falschen Ansicht, nicht aber aus böswilliger Gesinnung erklären wird. Meine Darstellung selbst muß beweisen, ob ich die harte Anschuldigung der Verleumdung, wie des Zwecks, Unzufriedenheit und Mißvergnügen zu erregen, selbst für den jetzt wirklich eintretenden Fall einer fortgesetzten Anonymität, verdient habe, Anschuldigungen, die um so schmerzlicher sein müssen, als sie von einem in der Rheinprovinz vorzugsweise hochverehrten und geliebten Manne ausgehen.

Zur leichtem Übersicht habe ich meine Antwort in folgende Rubriken geteilt:

  1. Die Frage in bezug auf die Holzverteilung.
  2. Das Verhältnis der Moselgegend zu der Kabinettsordre vom 24. Dezember 1841 und der durch dieselbe bewirkten freieren Bewegung der Presse.
  3. Die Krebsschäden der Moselgegend.
  4. Die Vampire der Moselgegend.
  5. Vorschläge zur Abhülfe.

<175> A.

Die Frage in bezug auf die Holzverteilung

In meinem Artikel "Von der Mosel, 12. Dezember", Nr. 358 der "Rheinischen Zeitung", führe ich folgenden Umstand an:

"Die aus mehreren tausend Seelen bestehende Gemeinde, der ich angehöre, besitzt als Eigentümerin die schönsten Waldungen, weiß mich nicht zu erinnern, daß die Gemeindeglieder einen unmittelbaren Genuß aus ihrem Eigentum durch Holzpartizipation gezogen hätten."

Der Herr Oberpräsident bemerkt hiezu:

"Ein solches, mit den gesetzlichen Bestimmungen nicht im Einklang stehendes Verjahren würde sich nur durch ganz besondere Umstände motivieren lassen"

und verlangt zugleich, zur Prüfung des Tatbestandes, die Nennung des Namens der Gemeinde.

Ich bekenne freimütig: Einerseits glaube ich, daß ein mit den Gesetzen nicht im Einklang, also im Widerspruch stehendes Verfahren sich kaum durch Umstände motivieren lassen, sondern stets ungesetzlich bleiben dürfte; andererseits kann ich das von mir geschilderte Verfahren nicht ungesetzlich finden.

Die infolge des Gesetzes vom 24. Dezember 1816 und der Allerhöchsten Kabinettsordre vom 18. August 1835 erlassene, in der Beilage zum Amtsblatt Nr. 62 der königlichen Regierung zu Koblenz publizierte Instruktion (de dato: "Koblenz, den 31. August 1839"), über die Verwaltung der Gemeinde- und Institutenwaldungen in den Regierungsbezirken Koblenz und Trier, bestimmt im § 37 wörtlich folgendes:

"In Beziehung auf die Verwertung des in den Waldungen aufkommenden Materials gilt es als Regel, daß soviel veräußert werden muß, als zur Deckung der Waldkosten (Steuern und Verwaltungsausgaben) erforderlich ist."

"Im übrigen hängt es von den Beschlüssen der Gemeinden ab, ob das Material zur Deckung anderweitiger Gemeindebedürfnisse meistbietend veräußert werden soll oder ob es unter die Gemeindeglieder ganz oder teilweise, unentgeltlich oder gegen bestimmte Taxe zu verteilen sei. Indessen gilt als Regel, daß das Brenn- und Geschirrholz in natura verteilt, das Bauholz aber, soweit es nicht zu Gemeindebauten oder zur Unterstützung einzelner Mitglieder bei Brandschäden usw. zu verwenden, meistbietend verkauft werde."

<176> Diese von einem Vorgänger des Herrn Oberpräsidenten der Rheinprovinz erlassene Instruktion scheint mir zu beweisen, daß die Verteilung des Brennholzes unter die Gemeindeglieder von dem Gesetze weder geboten noch verboten, sondern lediglich eine Frage der Zweckmäßigkeit ist, wie ich denn auch in dem quästionierten Artikel nur die Zweckmäßigkeit des Verfahrens besprochen habe. Hiernach möchte der Grund, aus welchem der Herr Oberpräsident den Namen der Gemeinde zu wissen verlangte, wegfallen, da es sich nicht mehr um die Untersuchung einer Gemeindeverwaltung, sondern nur um Modifikation einer Instruktion handeln wird. Ich nehme aber keinen Anstand, die Redaktion der "Rheinischen Zeitung" zur Namhaftmachung der Gemeinde, in der mir keine Holzverteilung erinnerlich ist, auf besonderes Verlangen des Herrn Oberpräsidenten, zu ermächtigen, indem der Gemeindevorstand dadurch nicht denunziert, das Wohl der Gemeinde aber nur gefördert werden kann.


["Rheinische Zeitung" Nr. 17 vom 17. Januar 1843]

B.

Das Verhältnis der Moselgegend zur Kabinettsordre vom 24. Dezember 1841 und der durch dieselbe bewirkten freieren Bewegung der Presse

Der Herr Oberpräsident bemerkt in bezug auf meinen Artikel "Bernkastel, vom 10. Dezember in Nr. 346 der 'Rheinischen Zeitung' " worin ich die Behauptung aufstelle, daß der Mosellaner die durch die Allerhöchste Kabinettsordre vom 24. Dezember vorigen Jahres der Presse zuteil gewordene größere Freiheit seiner besonders bedrängten Lage wegen vor allen enthusiastisch begrüßt habe, folgendes:

"Soll dieser Artikel einen Sinn haben, so muß es dem Mosellaner seither versagt gewesen sein, seinen Notstand, die Ursachen desselben sowie die Mittel zu seiner Abhülfe öffentlich freimütig zu besprechen. Ich bezweifle, daß dem so ist. Denn bei dem Bestreben der Behörden, dem anerkannten Notstands der Weinbauern Abhülfe zu verschaffen, hat ihnen nichts erwünschter kommen können als die möglichst offene und freimütige Besprechung der dort herrschenden Zustände." "Der Herr Verfasser des obigen Artikels würde mich daher sehr verpflichten, wenn er die Fälle speziell nachzuweisen die Güte haben wollte, wo auch vor dem Erscheinen der Allerhöchsten Kabinettsordre vom 24. Dezember vorigen Jahres eine freimütige öffentliche Besprechung des Notstandes der Moselbewohner von der Behörde verhindert worden ist."

<177> Weiter unten bemerkt der Herr Oberpräsident:

"Daß übrigens, wie der eingangs gedachte Artikel sagt, das Notgeschrei der Winzer höheren Orts lange Zeit für freches Gekreisch gehalten sei, glaube ich zwar schon von vornherein für eine Unwahrheit erklären zu können."

Meine Antwort auf diese Fragen wird folgenden Gang nehmen. Ich werde zu beweisen suchen:

1. daß zunächst, gänzlich abgesehen von den Befugnissen der Presse vor der Allerhöchsten Kabinettsordre vom 24. Dezember 1841, aus der eigentümlichen Natur des Notzustandes an der Mosel das Bedürfnis einer freien Presse notwendig hervorgeht;

2. daß, selbst wenn keine speziellen Verhinderungen der "freimütigen und öffentlichen Besprechung" vor dem Erscheinen der beregten Kabinettsordre stattgefunden haben, meine Behauptung nichts von ihrer Richtigkeit einbüßt und die vorzugsweise Teilnahme der Mosellaner an der Allerhöchsten Kabinettsordre und der durch sie bewirkten freieren Bewegung der Presse gleich verständlich bleibt;

3. daß wirklich spezielle Umstände eine "freimütige und öffentliche" Besprechung verhinderten.

Innerhalb des ganzen Zusammenhangs wird sich dann ergeben, inwiefern meine Behauptung: "Der desolate Zustand der Winzer war höheren Orts lange Zeit in Zweifel gezogen und ihr Notgeschrei für freches Gekreisch gehalten worden", eine Wahrheit oder eine Unwahrheit ist.

ad 1. Bei der Untersuchung staatlicher Zustände ist man allzu leicht versucht, die sachliche Natur der Verhältnisse zu übersehen und alles aus dem Willen der handelnden Personen zu erklären. Es gibt aber Verhältnisse, welche sowohl die Handlungen der Privatleute als der einzelnen Behörden bestimmen und so unabhängig von ihnen sind als die Methode des Atemholens. Stellt man sich von vornherein auf diesen sachlichen Standpunkt, so wird den guten oder den bösen Willen weder auf der einen noch auf der andern Seite ausnahmsweise voraussetzen, sondern Verhältnisse wirken sehen, wo auf den ersten Anblick nur Personen zu wirken scheinen. Sobald nachgewiesen ist, daß eine Sache durch die Verhältnisse notwendig gemacht wird, wird es nicht mehr schwierig sein, auszumitteln, unter welchen äußern Umständen sie nun wirklich ins Leben treten mußte und unter welchen sie nicht ins Leben treten konnte, obgleich ihr Bedürfnis schon vorhanden war. Man wird dies ungefähr mit derselben Sicherheit bestimmen können, mit welcher der Chemiker bestimmt, unter welchen äußern Umständen verwandte Körperstoffe eine Verbindung eingehen müssen. Wir glauben daher durch <178> den Beweis: "Daß aus der Eigentümlichkeit des Notzustandes an der Mosel die Notwendigkeit einer freien Presse folgt", unserer Darstellung eine Basis zu geben, die über alles Persönliche hinausragt.

Der Notzustand der Moselgegend kann nicht als ein einfacher Zustand betrachtet werden. Man wird mindestens immer zwei Seiten unterscheiden müssen, den Privatzustand und den Staatszustand, denn so wenig die Moselgegend außerhalb des Staats, so wenig liegt ihr Notzustand außer der Staatsverwaltung. Die Beziehung beider Seiten aufeinander bildet erst den wirklichen Zustand der Moselgegend. Um nun die Art und Weise dieser Beziehung zu ermitteln, teilen wir ein authentisches und aktenmäßiges Gespräch zwischen den wechselseitigen Organen der beiden Seiten mit.

In dem vierten Hefte der "Mitteilungen des Vereins zur Förderung der Weinkultur an der Mosel und Saar zu Trier" findet sich eine Verhandlung zwischen dem Finanzministerium, der Regierung zu Trier und der Direktion des angegebenen Vereins. Der Verein hatte in einer Vorstellung an das Finanzministerium u. a. auch eine Berechnung des Ertrages der Weinberge aufgestellt. Die Regierung zu Trier beauftragte mit der Begutachtung des auch hier zugegangenen Schreibens den Vorsteher des trierischen Katasterbüros, Steuerinspektor v. Zuccalmaglio, der hierzu, wie die Regierung selbst in einem Schreiben sagt, um so geeigneter schien, als er "zur Zeit der Ermittelung der Katastralerträge der Weinberge an der Mosel tätigen Anteil genommen". Wir stellen nun einfach das amtliche Gutachten des Herrn v. Zuccalmaglio und die Replik der Direktion des Vereins zur Förderung der Weinkultur in ihren schlagendsten Stellen sich gegenüber.

Der amtliche Berichterstatter:

Der in der Eingabe aufgestellten Berechnung des Bruttoertrags eines Morgen Weinberges während der letzten zehn Jahre von 1829-1838 aus den zu der dritten Weinsteuerklasse gehörenden Gemeinden liegt:

1. die Kreszenz auf einem Morgen,

2. der Preis, wofür ein Fuder Wein im Herbste verkauft worden, zugrunde.

Die Berechnung entbehre aber aller als genau nachgewiesenen Prämissen, denn:

"Ohne amtliche Einwirkung und Kontrolle ist es weder einem einzelnen nach auch einem Verein möglich, zuverlässige Nachrichten auf dem Privatwege über den Weingewinn aller einzelnen Eigentümer während einem Zeitraum in einer großen Anzahl von Gemeinden zu erlangen, weil es gerade im Interesse vieler Eigentümer liegen kann, hierin die Wahrheit möglichst zu verheimlichen."

<179> Die Replik der Vereinsdirektion:

"Daß das Katasterbüro das Katastralverfahren nach Kräften in Schutz nimmt, befremdet uns nicht: dennoch aber bleibt das nun folgende Räsonnement schwer begreiflich" etc.

"Der Herr Katastervorsteher sucht mit Ziffern darzutun, daß die Katastralerträge überall die richtigen sind: sagt auch, daß die von uns angenommene zehnjährige Periode hier nichts beweisen könne" etc. etc. "Auf Ziffern lassen wir uns nicht ein, indem, wie er am Eingange seiner Bemerkungen sehr weislich vorausschickt, uns dazu die amtlichen Mitteilungen fehlen; wir halten es auch nicht nötig, da seine ganze auf Amtlichkeit gestützte Rechnung und sein Räsonnement gegen die von uns aufgestellten Tatsachen nichts beweisen können." "Wenn wir sogar zugestehen, daß die Katastralerträge im Augenblicke ihrer Ermittlung ganz richtig, daß sie sogar zu niedrig gewesen, so kann uns mit Erfolg nicht in Abrede gestellt werden, daß sie bei der gegenwärtigen jammervollen Umgestaltung der Dinge als Basis nicht mehr dienen können."

Der amtliche Berichterstatter:

"Es zeigt sich demnach nirgend ein Faktum, das zu der Annahme berechtigt, daß die Katastralerträge der in der letzten Zeit abgeschätzten Weinberge zu hoch seien, wohl aber ließe sich leicht nachweisen, daß die in früherer Zeit abgeschätzten Weinberge der Land- und Stadtkreise Trier und des Kreises Saarburg sowohl an und für sich als gegen die übrigen Kulturen zu gering stehen."

Die Replik der Vereinsdirektion:

"Der um Hülfe Flehende fühlt sich schmerzlich berührt, wenn ihm auf seine gegründete Klage erwidert wird, daß bei einer Ermittelung die Katastererträge eher höher als niedriger gestellt werden dürften."

"Übrigens" - bemerkt die Replik - "hat auch der Herr Berichterstatter bei allem Absprechen unserer Angabe bei der Einnahme fast nichts widerlegen oder anders stellen können, daher nur gesucht, bei der Ausgabe andere Resultate herbeizuführen."

Wir wollen nun hinsichtlich der Ausgabeberechnung einige der schlagendsten Kontroversen zwischen dem Herrn Berichterstatter und der Direktion des Vereins gegenüberstellen.

Der amtliche Berichterstatter:

"ad Position 8 muß besonders bemerkt werden, daß das Ausbrechen der üblichen Lotten oder das sogenannte Geitzen eine Operation ist, die nur von wenigen Weingutsbesitzern in neuerer Zeit eingeführt worden, nirgend aber, weder an der Mosel, noch an der Saar, als zu der landesüblichen Bauart gehörig angesehen werden kann."

Die Replik der Vereinsdirektion:

"Das Ausbrechen und Rühren, meinte der Herr Katastervorsteher, sei erst in neuerer Zeit von wenigen Gutsbesitzern eingeführt worden" etc. Dem ist jedoch nicht so. <180> "Der Winzer habe erkannt, daß, will man nicht ganz untersinken, man nichts unversucht lassen darf, was die Qualität des Weines einigermaßen heben kann. Diesen Geist soll man zum Gedeihen des Landes sorgsam heben, statt ihn zu unterdrücken."

"Und wem würde es einfallen, die Kulturkasten der Kartoffeln deshalb herunterzusetzen, weil es Ackersleute gibt, welche dieselben ihrem Schicksale und der Güte Gottes überlassen."

Der amtliche Berichterstatter:

"Die bei Position 14 aufgeführten Kosten für das Faß können hier gar nicht in Ansatz kommen, da, wie schon bemerkt worden, in den aufgeführten Weinpreisen die Kosten für das Gebinde oder das Faß nicht einbegriffen sind. Wird nun beim Verkaufe des Weines das Faß mit verkauft, wie Regel ist, so wird auch dem Weinpreise der Kostenpreis hierfür noch zugesetzt, wodurch die Fässer wieder vergütet werden."

Die Replik der Vereinsdirektion:

"Wo Wein verkauft wird, geht das Faß mit fort, ohne daß von dessen Vergütung auch nur im entferntesten die Rede wäre oder auch nur sein könnte. Die wenigen Fälle, wo Wirte hiesiger Stadt ohne Faß kaufen, können auf das Ganze nicht in Anschlag kommen." "Es ist nicht mit dem Weine wie mit andern Waren, die bis zum Verkaufe im Magazine liegen, dann aber auf Kosten des Empfängers verpackt und versendet werden, da also der Weinkauf das Faß stillschweigend nach sich zieht, so ist es einleuchtend, daß dessen Preis zu den Produktionskosten mit angerechnet werden muß."

Der amtliche Berichterstatter:

"Wird die in der Anlage angegebene Kreszenz nach den amtlichen Nachweisungen hierüber berichtigt, dagegen die Kostenberechnung sogar in allen Teilen als richtig angenommen und nur aus derselben die Grund- und Moststeuer und die Kosten für das Faß oder die Positionen 13, 14 und 17 weggelassen, so ergibt sich folgendes:

Der Brutto-Ertrag beträgt
Die Kosten ohne 13, 14 und 17
Mithin Reinertrag

53 Taler 21 Silbergroschen 6 Pfennig
39 Taler 05 Silbergroschen 0 Pfennig
14 Taler 16 Silbergroschen 6 Pfennig."

Die Replik der Vereinsdirektion:

"Die Rechnung als solche ist richtig, nicht aber so das Resultat. Wir haben nicht mit unterstellten, sondern mit solchen Zahlen gerechnet, die wirkliche Beträge repräsentieren, und gefunden, daß, wenn man von 53 Talern wirklicher Auslage 48 Taler wirklicher und alleiniger Einnahme abzieht, 5 Taler Zubuße bleiben,"

Der amtliche Berichterstatter:

"Ist aber nun dennoch nicht zu verkennen, daß der Notstand an der Mosel gegen die Periode vor dem Entstehen des Zollverbandes bedeutend zugenommen, daß sogar teilweise eine wirkliche Verarmung zu befürchten steht, so ist der Grund hievon - lediglich in dem frühern, zu hohen Ertrage derselben zu suchen."

<181> "Durch das an der Mosel ehedem <In der "Rh. Ztg.": in dem> bestehenden frühern Quasi-Monopol im Weinhandel und die schnell aufeinander gefolgten günstigen Weinjahre 1819, 1822, 1825, 1826, 1827,1828 hatte sich dort ein nie gekannter Luxus gebildet. Die großen Summen Geldes in den Händen des Winzers verleiteten ihn zum Ankauf von Weinbergen zu ungeheuren Preisen, zur Anlage von neuen Weinbergen mit übermäßigen Kosten in Distrikten, die sich zum Weinbau nicht mehr eigneten. Jeder wollte Eigentümer werden, und so wurden Schulden kontrahiert, die früher von einem guten Jahre leicht gedeckt werden konnten, die aber jetzt bei den eingetretenen nachteiligen Konjunkturen den in die Hände der Wucherer gefallenen Winzer notwendig ganz zu Boden drücken müssen."

"Eine Folge wird sein, daß die Weinkultur sich auf die besseren Lagen beschränken und wieder, wie früher, mehr in die Hände von reichen Gutsbesitzern übergehen wird, wozu sie auch wegen den damit verbundenen großen Vorlagen sich hauptsächlich eignet, die leichter imstande sind, nachteilige Jahre zu überstehen, und dennoch Mittel genug haben, die Kultur zu verbessern und ein Produkt zu erzielen, welches mit dem aus den nun geöffneten Zollvereinsländern die Konkurrenz bestehen kann. Allerdings wird dies nicht ohne große Kalamitäten bei der ärmeren Winzerklasse, die aber auch wohl größtenteils in der vorhergegangenen günstigen Zeit Eigentümer geworden sind, in den ersten Jahren geschehen können; indessen bleibt dabei immer zu berücksichtigen, daß der frühere Zustand ein unnatürlicher war, der sich jetzt an dem Unvorsichtigen rächt. Der Staat ... wird sich lediglich darauf beschränken können, durch dazu geeignete Mittel der gegenwärtigen Bevölkerung den Übergang möglichst zu erleichtern."

Die Replik der Vereinsdirektion:

"Wahrlich, wer die Armut an der Mosel erst befürchtet, hat sie, die in ihrer gräßlichsten Gestalt unter der moralisch guten, unermüdet regsamen Bevölkerung dieses Landesteils bereits ganz eingebürgert ist und täglich mehr und mehr um sich greift, noch nicht gesehen, und daß man hier nicht sage, wie es der Herr Katastervorsteher tut, es sei die eigene Schuld des Verarmten; nein, der vorsichtige wie der nichtachtende, der fleißige wie der gleichgültige, der bemittelte wie der unbemittelte Winzer, alle liegen mehr oder weniger darnieder, und wenn es einmal dahin gekommen ist, daß selbst die vermögenden, fleißigen und sparsamen Winzer sagen müssen, wir können uns nicht mehr nähren, dann muß doch wohl die Ursache außer ihnen gesucht werden."

"Wahr ist es, daß die Winzer in den günstigen Zeiten zu höhern Preisen als sonsten Güter angeschafft und - darauf rechnend, daß ihre Mittel, wie selbe sich ihnen zeigten, zureichen würden, alles nach und nach zu berichtigen - Schulden kontrahiert hatten; allein wie man dieses, was als Beweis der Tätigkeit und Gewerbsamkeit dieser Leute dient, Luxus nennen und sagen kann, daß der gegenwärtige Zustand der Winzer davon herrühre, daß der frühere ein unnatürlicher gewesen, der sich jetzt an den Unvorsichtigen räche, bleibt unbegreiflich."

<182> "Der Herr Katastervorsteher stellt auf, daß, durch die ungewöhnlich günstigen Zeiten verlockt, die Leute, welche nach ihm früher nicht einmal Eigentümer gewesen!! die Masse der Weinberge unverhältnismäßig vermehrt hätten und daß jetzt nur in der Verminderung der Weinberge Heil zu suchen sei,"

"Allein wie unbedeutend ist die Zahl derjenigen Weinberge, die zum Anbaue von Frucht und Gemüse verordnet werden könnten, gegen die Masse derer, die außer dem Weine nur Hecken und Gesträuche hervorbringen können! und soll die gewiß höchst achtbare, wegen dem Weinbaue auf eine so verhältnismäßig kleine Bodenfläche zusammengedrängte Bevölkerung, die dem Unglücke so männlich entgegenkämpfte, nicht einmal des Versuches wert sein, ob ihre Existenz durch Erleichterungen nicht gefristet werden könne, bis günstigere Verhältnisse es ihr möglich machen, sich wieder zu erheben und dem Staate wieder zu werden, was sie ihm früher waren; nämlich eine Quelle des Einkommens, wie nicht leicht eine zweite auf gleicher Bodenfläche, ohne Zurechnung von Städten, zu treffen sein wird."

Der amtliche Berichterstatter:

"Daß aber diese Not der ärmern Winzer nun auch von den reichem Gutsbesitzern benutzt wird, um durch grelle Darstellung des frühern glücklichen Zustandes im Gegensatz mit dem jetzigen weniger günstigen, aber doch noch immer lohnenden, sich alle möglichen Erleichterungen und Vorteile zu verschaffen, ist wohl sehr begreiflich."


["Rheinische Zeitung" Nr. 18 vom 18. Januar 1843]

Die Replik der Vereinsdirektion:

"Wir sind unserer Ehre und unserm innern Bewußtsein schuldig, uns gegen die Anschuldigung zu verwahren, daß wir die Not der ärmeren Winzer benutzen, um uns durch grelle Darstellungen alle möglichen Vorteile und Erleichterungen zu verschaffen."

"Nein, wir beteuren es, und das wird, so hoffen wir, zu unserem Rechtfertigung genügen, daß jede selbstsüchtige Absicht uns fremd war und daß wir bei dem ganzen Schritte nichts vor Augen hatten, als durch eine offene und wahre Darstellung der Verhältnisse der armen Winzer den Staat auf das aufmerksam zu machen, was bei weiterm Umsichgreifen für ihn selbst gefährlich werden muß! Wem die Umgestaltung kennt, welche die gegenwärtige traurige Lage der Winzer in ihren häuslichen und industriellen Beziehungen, selbst hinsichtlich dem Moralität, in progressivem Fortschritte schon bis jetzt hervorgebracht hatte, dem muß, denkt er an ein Fortbestehen oder gar Zunehmen solchem Not, vor der Zukunft grauen."

Zunächst wird man zugeben müssen, daß die Regierung nicht entschieden sein, sondern schwanken mußte zwischen der Ansicht ihres Berichterstatters und der gegnerischen Ansicht der Weinbautreibenden. Bedenkt man ferner, daß das Referat des Herrn v. Zuccalmaglio vom 12. Dezember 1839 und die Antwort des Vereins vom 15. Juli 1840 datiert, so folgt, daß bis zu dieser Zeit die Ansicht des Herrn Berichterstatters, wenn auch nicht <183> die einzige, doch immer die herrschende Ansicht des Regierungskollegiums gewesen sein muß. Wenigstens tritt sie noch im Jahre 1839 als Regierungsgutachten, also gleichsam als Resümee der Regierungsansicht dem Memoire des Vereins gegenüber, denn bei einer konsequenten Regierung darf man wohl ihre letzte Ansicht als die Summe ihrer frühern Ansichten und Erfahrungen betrachten. In dem Bericht wird nun nicht nur der Notzustand nicht als allgemeiner anerkannt, sondern auch dem anerkannten Notstand soll nicht abgeholfen werden, denn es heißt: "Der Staat wird sich nur lediglich darauf beschränken können, durch dazu geeignete Mittel der gegenwärtigen Bevölkerung den Obergang möglichst zu erleichtern." Unter dem Übergang ist unter diesen Umständen aber der allmähliche Untergang zu verstehen. Der Untergang der ärmeren Winzer wird gleichsam als ein Naturereignis betrachtet, wobei der Mensch im voraus resigniert und nur das Unausbleibliche zu mildern sucht. "Allerdings", heißt es, "wird dies nicht ohne große Kalamitäten abgehen." Der Verein wirft daher auch die Frage auf, ob der Moselwinzer nicht einmal "eines Versuches" wert sei? Hätte die Regierung eine entschieden gegnerische Ansicht gehabt, so würde sie den Bericht von vornherein modifiziert haben, da er eine so wichtige Sache, wie die Aufgabe und den Entschluß des Staats in dieser Angelegenheit, bestimmt angibt. Man sieht hieraus, daß der Notstand der Winzer anerkannt sein konnte, ohne daß das Bestreben vorhanden war, ihm abzuhelfen.

Wir führen nun noch ein Beispiel davon an, wie den Behörden über den Moselzustand referiert ward. Im Jahre 1838 bereist ein hochgestellter administrativer Beamter die Moselgegend. In einer zu Piesport gehaltenen Konferenz mit zwei Landräten frug er einen derselben, wie es mit den Vermögensverhältnissen der Winzer aussehe, und erhielt zur Antwort:

"Die Winzer lebten zu luxuriös, und schon deshalb könnten ihre Sachen nicht schlecht stehen."

Dennoch war der Luxus schon zu einer Sage früherer Tage geworden. Wie wenig diese mit dem Regierungsreferate übereinstimmende Ansicht allgemein aufgegeben ist, darauf machen wir nur beiläufig aufmerksam. Wir erinnern an die Stimme, welche sich in der Beilage I des "Frankfurter Journals" Nr. 349 (1842) aus Koblenz vernehmen ließ und von dem angeblichen Notstande der Weinbauern an der Mosel spricht.

Ebenso spiegelt sich höhern Orts die eben vernommene amtliche Ansicht als ein Bezweifeln "der desolaten" Zustände und der allgemeinen Wirkungen der Not, also auch ihrer allgemeinen Ursachen wider. Die angezogenen Mitteilungen des Vereins enthalten u. a. folgende Erwiderungen des Finanzministeriums auf verschiedene Eingaben:

<184> "Wenngleich, wie die marktgängigen Weinpreise ergeben, die Besitzer der in die erste und zweite Steuerklasse eingeschätzten Weinberge an der Mosel und Saar keine Veranlassung zur Unzufriedenheit haben, so wird doch nicht verkannt, daß die Weinbauern, deren Erzeugnis von minder guter Art ist, sich nicht in einem gleich günstigen Verhältnisse befinden."

So heißt es in einer Antwort auf ein Gesuch um Steuererlaß für 1838:

"Auf Ihre hierher gerichtete Vorstellung vom 10. Oktober vorigen Jahres wird Ihnen eröffnet, daß auf den in Antrag gebrachten allgemeinen Erlaß der ganzen Weinsteuer für 1838 nicht eingegangen werden kann, da Sie selbst keineswegs zu derjenigen Klasse gehören, welche der meisten Berücksichtigung bedarf und deren Notstand etc., in ganz andern als den steuerlichen Verhältnissen zu suchen ist."

Wie wir in dieser ganzen Darstellung nur auf Faktisches zu bauen wünschen und uns bestreben, soviel an uns, nur Tatsachen in eine allgemeine Form zu erheben, so werden wir zunächst den Dialog zwischen dem trierischen Verein zur Förderung der Weinkultur und dem Berichterstatter der Regierung in seine allgemeinen Grundgedanken übersetzen.

Die Regierung muß einen Beamten zur Begutachtung des Memoires ernennen. Sie ernennt natürlich einen möglichst sachkundigen Beamten, am liebsten also einen Beamten, der an der Regulierung der Moselverhältnisse selbst Anteil nahm. Dieser Beamte ist nicht abgeneigt, in der fraglichen Beschwerdeschrift Angriffe auf seine amtliche Einsicht und sein früheres amtliches Wirken zu entdecken. Er ist sich seiner gewissenhaften Pflichterfüllung und der offiziellen Detailkenntnisse, die ihm zu Gebote stehen, bewußt; er findet plötzlich eine entgegengesetzte Ansicht, und was ist natürlicher, als daß er Partei gegen die Bittsteller ergreift, daß ihre Absichten, die doch immer mit Privatinteressen zusammenhängen können, ihm verdächtig erscheinen, daß er sie also verdächtigt. Statt ihre Darstellung zu benutzen, sucht er sie zu widerlegen. Es kömmt hinzu, daß der augenscheinlich arme Winzer weder Zeit noch Bildung zur Schilderung seiner Zustände besitzt, daß also der arme Winzer nicht sprechen kann, während der Weinbautreibende, der sprechen kann, nicht augenscheinlich arm ist, also ohne Grund zu sprechen scheint. Wenn aber selbst der gebildete Weinbautreibende auf den Mangel an amtlicher Einsicht verwiesen wird, wie sollte der ungebildete Winzer vor dieser amtlichen Einsicht bestehen können!

Die Privaten ihrerseits, die das wirkliche Elend an andern in seiner vollen Ausbildung erblickt haben, die es an sich selbst heranschleichen sehen und überdem sich bewußt sind, daß das Privatinteresse, was sie beschützen, ebensosehr Staatsinteresse ist und als Staatsinteresse von ihnen bevorwortet wurde, fühlen notwendig nicht nur ihre eigene Ehre verletzt, sondern glauben <185> auch die Wirklichkeit von einem einseitig und willkürlich zurechtgemachten Standpunkte aus entstellt. Sie opponieren also gegen die sich überhebende Amtlichkeit, sie weisen die Widersprüche zwischen der wirklichen Gestalt der Welt und jener Gestalt auf, die sie in den Büros annimmt, sie stellen den offiziellen Belegen die praktischen Belege gegenüber, sie können endlich nicht umhin, in der gänzlichen Verkennung ihrer überzeugungssicheren und faktisch klaren Sachentwicklung eine selbstsüchtige Absicht zu vermuten, etwa die Absicht, den Beamtenverstand gegen die Bürgerintelligenz geltend zu machen. Der Private schließt also ebenfalls, daß der sachkundige, mit seinen Verhältnissen in Berührung getretene Beamte sie nicht vorurteilsfrei darstellen werde, eben weil sie teilweise sein Werk sind, während der vorurteilsfreie Beamte, der die hinlängliche Unparteilichkeit zur Begutachtung besäße, nicht sachkundig sei. Wenn aber der Beamte dem Privaten vorwirft, daß er seine Privatangelegenheit zu einem Staatsinteresse hinaufschraube, so wirft der Private dem Beamten vor, daß er das Staatsinteresse zu seiner Privatangelegenheit herunterschraube, zu einem Interesse, von dem alle andern als Laien ausgeschlossen seien, so daß selbst die sonnenklarste Wirklichkeit gegen die in den Akten, also amtlich, also staatlich vorliegende Wirklichkeit und die auf sie fußende Intelligenz ihm als illusorisch, so daß nur der Wirkungskreis der Behörde ihm als Staat, dagegen die außer diesem Wirkungskreis der Behörde liegende Welt als Staatsgegenstand erscheine, der aller staatlichen Gesinnung und Einsicht bar sei. Wenn endlich der Beamte bei einem notorischen Mißstand das meiste auf die Privaten schiebt, die ihren Zustand selbst verschuldet hätten, dagegen die Vortrefflichkeit der Verwaltungsmaximen und Institutionen, die selbst amtliche Schöpfungen sind, nicht antasten läßt, auch von ihnen nichts aufgeben will, so verlangt umgekehrt der Private, der sich seines Fleißes, seiner Sparsamkeit, seines harten Kampfes mit der Natur und den sozialen Verhältnissen bewußt ist, daß der Beamte, der allein staatsschöpferische Macht besitze, nun auch seine Not wegschaffe und, Wenn er alles gut zu machen behaupte, nun auch beweise, daß er die bösen Zustände durch seine Operationen gutmachen könne oder zum wenigsten Einrichtungen, die für eine Zeit passend waren, als unpassend für eine gänzlich verwandelte Zeit erkenne.

Derselbe Gesichtspunkt des höhern amtlichen Wissens und derselbe Gegensatz der Verwaltung und ihres Gegenstandes wiederholt sich innerhalb der Beamtenwelt selbst, und wie wir sehen, daß das Katasterbüro bei Begutachtung der Moselgegend hauptsächlich die Unfehlbarkeit des Katasters geltend macht, wie das Finanzministerium behauptet, das Übel liege "in ganz andern" als den "steuerlichen" Ursachen, so wird die Verwaltung <186> überhaupt nicht in sich, sondern außer sich den Grund der Not finden. Der einzelne, dem Winzer zunächst stehende Beamte sieht nicht absichtlich, sondern notwendig die Zustände besser oder anders an, als sie sind. Er glaubt, die Frage, ob sich seine Gegend wohl befinde, sei die Frage, ob er sie wohl verwalte. Oh die Verwaltungsmaximen und Institutionen überhaupt gut sind, ist eine Frage, die außerhalb seiner Sphäre liegt, denn darüber kann nur von höhern Stellen geurteilt werden, wo ein weiteres und tieferes Wissen über die amtliche Natur der Dinge, d. h. über ihren Zusammenhang mit dem ganzen Staate, herrscht. Daß er selbst gut verwaltet, davon kann er die gewissenhafteste Überzeugung haben. So wird er einerseits den Zustand nicht so ganz desolat finden, und andererseits, wenn er ihn desolat findet, wird er den Grund außerhalb der Verwaltung suchen, teils in der Natur, die vom Menschen unabhängig, teils im Privatleben, das von der Verwaltung unabhängig, teils in Zufällen, die von niemand abhängig.

Die höhere kollegialische Behörde nun muß offenbar ihren Beamten höheres Vertrauen schenken als den Verwalteten, von welchen die gleiche, amtliche Einsicht nicht zu präsumieren ist. Eine kollegialische Behörde hat überdem ihre Überlieferungen. Sie hat also auch in bezug auf die Moselgegend ihre einmal feststehenden Grundsätze, sie besitzt in dem Kataster die amtliche Gestalt des Landes, sie hat amtliche Festsetzungen über Einnahmen und Ausgaben, sie hat überall neben der reellen Wirklichkeit eine bürokratische Wirklichkeit, die ihre Autorität behält, so sehr die Zeit wechseln mag. Es kömmt hinzu, daß die beiden Umstände, das Gesetz der Beamtenhierarchie und der Grundsatz von einem doppelten Staatsbürgertum, dem aktiven, wissenden Staatsbürgertum der Verwaltung und dem passiven, unbewußten der Verwalteten, sich wechselseitig ergänzen. Nach der Maxime, wonach der Staat sein bewußtes und tätiges Dasein in der Verwaltung besitzt, wird jede Regierung den Zustand einer Gegend, soweit es sich um die Staatsseite handelt, für das Werk ihres Vorgängers halten. Nach dem Gesetz der Hierarchie wird dieser Vorgänger meistens schon eine höhere Stellung, oft die unmittelbar höhere Stellung einnehmen. Endlich hat jede Regierung einerseits das wirkliche Staatsbewußtsein, daß der Staat Gesetze hat, die er trotz aller Privatinteressen durchsetzen muß; andererseits hat sie als einzelne Verwaltungsbehörde nicht die Institutionen und Gesetze zu machen, sondern sie anzuwenden. Sie kann daher nicht die Verwaltung selbst, sondern nur den Gegenstand der Verwaltung zu reformieren suchen. Sie kann ihre Gesetze nicht nach der Moselgegend einrichten, sie kann nur innerhalb ihrer feststehenden Verwaltungsgesetze das Wohl der Moselgegend zu befördern suchen. Je eifriger und redlicher daher eine Regierung strebt, innerhalb der <187> einmal angenommenen und sie selbst beherrschenden Verwaltungsmaximen und Einrichtungen einen auffallenden, gar eine ganze Landstrecke umfassenden Notstand zu heben, je hartnäckiger das Übel widersteht und trotz der guten Verwaltung zunimmt, um so inniger, aufrichtiger, entschiedener wird ihre Oberzeugung, daß dies ein inkurabler Notzustand sei, an dem die Verwaltung, d.h. der Staat nichts ändern könne, der vielmehr eine Veränderung von seiten der Verwalteten nötig mache,

Wenn aber die untern Verwaltungsbehörden der höherstehenden amtlichen Einsicht vertrauen, daß die Maximen der Verwaltung gut sind, und selbst für ihre pflichtgetreue Ausführung im einzelnen einstehen, so stehen sich die höhern Verwaltungsbehörden für die Richtigkeit der allgemeinen Maximen und trauen ihren untergeordneten Gliedern die richtige amtliche Beurteilung des einzelnen zu, von der sie übrigens überdem amtliche offizielle Belege haben.

So kann eine Regierung bei dem besten Willen zu dem von dem Regierungsreferenten zu Trier über die Moselgegend ausgesprochenen Grundsatz kommen:

"Der Staat wird sich nur lediglich darauf beschränken kämen, durch dazu geeignete Mittel der gegenwärtigen Bevölkerung den Übergang zu erleichtern."

Betrachten wir nun einige der bekanntgewordenen Mittel, welche die Regierung zur Milderung des Notstandes der Mosel anwandte, so wird sich unser Räsonnement wenigstens durch die offen daliegende Verwaltungsgeschichte bestätigt finden, und nach der geheimen Geschichte können wir natürlich unser Urteil nicht formulieren. Wir zählen zu diesen Mitteln: die Steuererlasse in schlechten Weinjahren, den Rat, zu einer andern Kulturart, etwa dem Seidenbau, überzugehen, und endlich die Motion, die Parzellierung des Grundbesitzes zu beschränken. Das erste Mittel soll offenbar nur erleichtern, nicht abhelfen. Es ist ein momentanes Mittel, in welchem der Staat eine Ausnahme von seiner Regel macht, und eine Ausnahme, die nicht kostspielig ist. Es ist auch nicht der konstante Notstand, es ist ebenfalls eine ausnahmsweise Erscheinung desselben, die erleichtert wird; es ist nicht die chronische Krankheit, an die man sich gewöhnt hat, es ist eine akute Krankheit, von der man überrascht wird.

Mit den beiden andern Mitteln tritt die Verwaltung aus ihrem eigenen Kreise heraus. Die positive Tätigkeit, die sie nun entwickelt, besteht darin, daß sie teils den Mosellaner belehrt, wie er sich selbst helfen könne, teils ihm eine - Beschränkung und Entsagung eines bisherigen Rechts vorschlägt. Hier wird also der oben entwickelte Gedankengang verwirklicht. Die Verwaltung, die den Notstand der Mosel inkurabel und in Umständen, die außerhalb ihrer <188> Maximen und ihrer Tätigkeit liegen, begründet gefunden hat, stellt an den Mosellaner den Rat, seinen Zustand so einzurichten, daß er in die jetzigen Verwaltungsinstitutionen hineinpasse und innerhalb derselben erträglich existieren könne. Der Winzer selbst fühlt sich durch dergleichen Vorschläge, wenn sie auch nur gerüchtweise zu ihm dringen, schmerzlich berührt. Er wird es mit Dank anerkennen, wenn die Regierung Experimente auf eigene Kosten anstellt; aber er fühlt, daß die Anweisung, an sich selbst Experimente vorzunehmen, eine Resignation der Regierung ist, durch eigene Tätigkeit zu helfen. Er begehrt Hülfe und nicht Rat. So sehr er dem amtlichen Wissen in der ihm angehörigen Sphäre vertraut und sich vertrauungsvoll an dasselbe wendet, ebensosehr traut er in seiner Sphäre sich selbst die nötige Einsicht zu. Eine Beschränkung der Parzellierung des Grundbesitzes aber widerstreitet seinem angeerbten Rechtsbewußtsein; er erblickt darin den Vorschlag, seiner physischen Armut noch die rechtliche Armut hinzuzufügen, denn in jeder Verletzung der gesetzlichen Gleichheit erblickt er einen Notzustand des Rechts. Er fühlt es bald bewußter, bald unbewußter, daß die Verwaltung des Landes und nicht das Land der Verwaltung wegen da ist, daß aber das Verhältnis umgekehrt wird, sobald das Land seine Sitten, Rechte, die Art seiner Arbeit und seines Eigentums umwandeln soll, um in die Verwaltung zu passen. Der Mosellaner verlangt also, daß, wenn er die ihm durch die Natur und die Sitte angewiesene Arbeit vollbringt, der Staat ihm die Atmosphäre verschaffe, in welcher er wachsen, gedeihen, leben kann. Dergleichen negative Erfindungen prallen daher erfolglos an der Wirklichkeit nicht nur der Zustände, sondern auch des bürgerlichen Bewußtseins ab.


["Rheinische Zeitung" Nr. 19 vom 19. Januar 1843]

Welches ist also die Beziehung der Verwaltung zum Notzustand der Mosel? Der Notzustand der Mosel ist zugleich ein Notzustand der Verwaltung. Der konstante Notstand eines Staatsteiles (und ein Notstand, der, seit länger als einem Dezennium fast unbemerkt eintretend, erst allmählich, dann unaufhaltsam zum Kulminationspunkt sich entwickelt und in immer bedrohlicherem Wachstum begriffen ist, kann wohl konstant genannt werden), ein solcher konstanter Notstand ist ein Widerspruch der Wirklichkeit mit den Verwaltungsmaximen, wie ja andererseits nicht nur das Volk, sondern auch die Regierung den Wohlstand einer Landesgegend als eine faktische Bestätigung der Verwaltung betrachtet. Die Verwaltung aber kann ihrem bürokratischen Wesen nach die Gründe der Not nicht in der verwalteten Gegend, sondern nur in der natürlichen und privatbürgerlichen Gegend, die außer der <189> verwalteten Gegend liegt, erblicken. Die Verwaltungsbehörden können bei dem besten Willen, bei der eifrigsten Humanität und der stärksten Intelligenz mehr als augenblickliche und vorübergehende Kollisionen, eine konstante Kollision zwischen der Wirklichkeit und den Verwaltungsmaximen nicht lösen, denn weder liegt es in der Aufgabe ihrer Stellung, noch vermag der beste Wille ein wesentliches Verhältnis oder Verhängnis, wenn man will, zu durchbrechen. Dies wesentliche Verhältnis ist das bürokratische, sowohl innerhalb des Verwaltungskörpers selbst als in seinen Bezügen zu dem verwalteten Körper.

Andrerseits kann ebensowenig der weinbauende Private verkennen, daß sein Votum absichtlich oder unabsichtlich durch das Privatinteresse getrübt sein, also die Wahrheit desselben nicht unbedingt präsumiert werden kann. Er wird auch einsehen, daß es viele leidende Privatinteressen im Staat gibt, deren Hebung allgemeine Verwaltungsmaximen nicht verlassen oder modifiziert werden können. Wird ferner der allgemeine Charakter eines Notstandes behauptet, wird behauptet, der Wohlstand sei in der Weise und dem Umfang gefährdet, daß das Privatleiden zum Staatsleiden und seine Wegräumung zu einer Pflicht des Staates gegen sich selbst werde, so scheint diese Behauptung der Verwalteten der Verwaltung gegenüber unpassend zu sein, da die Verwaltung wohl am besten beurteilen wird, inwiefern das Staatswohl gefährdet und von ihr eine tiefere Einsicht in das Verhältnis des Ganzen und seiner Teile präsumiert werden muß als von diesen Teilen selbst, Es kömmt hinzu, daß der einzelne und selbst viele einzelne ihre Stimme nicht für die Volksstimme ausgeben können; vielmehr ihre Darstellung immer den Charakter der privaten Beschwerdeschrift beibehalten wird. Wäre endlich selbst die Überzeugung der beschwerdeführenden Privaten die Überzeugung der ganzen Moselgegend, so nimmt die Moselgegend selbst, als ein einzelner Verwaltungsteil und als einzelner Landesteil, ihrer eigenen Provinz wie dem Staate gegenüber die Stellung eines Privatmannes ein, dessen Überzeugungen und Wünsche erst an der allgemeinen Überzeugung und dem allgemeinen Wunsche zu messen sind.

Die Verwaltung und die Verwalteten bedürfen zur Lösung der Schwierigkeit also gleichmäßig eines dritten Elements, welches politisch ist, ohne amtlich zu sein, also nicht von bürokratischen Voraussetzungen ausgeht, welches ebenso bürgerlich ist, ohne unmittelbar in die Privatinteressen und ihre Notdurft verwickelt zu sein. Dieses ergänzende Element von staatsbürgerlichem Kopf und von bürgerlichem Herzen ist die freie Presse. Im Bereich der Presse können die Verwaltung und die Verwalteten gleichmäßig ihre Grundsätze und Forderungen kritisieren, aber nicht mehr innerhalb eines Subordina- <190> tionsverhältnisses, sondern in gleicher staatsbürgerlicher Geltung, nicht mehr als Personen, sondern als intellektuelle Mächte, als Verstandesgründe. Die "freie Presse", wie sie das Produkt der öffentlichen Meinung ist, so produziert sie auch die öffentliche Meinung und vermag allein ein besonderes Interesse zum allgemeinen Interesse, vermag allein den Notstand der Moselgegend zum Gegenstand der allgemeinen Aufmerksamkeit und der allgemeinen Sympathie des Vaterlandes zu machen, vermag allein die Not schon dadurch zu mildern, daß sie die Empfindung der Not unter alle verteilt.

Die Presse verhält sich als Intelligenz zu den Volkszuständen, aber sie verhält sich ebensosehr zu ihnen als Gemüt; ihre Sprache ist daher nicht nur die kluge Sprache der Beurteilung, die über den Verhältnissen schwebt, sondern zugleich die affektvolle Sprache der Verhältnisse selbst, eine Sprache, die in amtlichen Berichten weder gefordert werden kann noch darf. Die freie Presse endlich trägt die Volksnot in ihrer eigenen, durch keine bürokratischen Medien durchgegangenen Gestalt an die Stufen des Thrones, zu einer Macht, vor welcher der Unterschied von Verwaltung und Verwalteten verschwindet und es nur mehr gleich nah und gleich fern stehende Staatsbürger gibt.

Wenn also die freiere Presse durch den eigentümlichen Notstand der Mosel notwendig gemacht ward, wenn sie hier heftiges, weil wirkliches Bedürfnis war, so scheint es, daß keine ausnahmsweise Preßhindernisse dazu gehörten, um dies Bedürfnis hervorzubringen, sondern daß vielmehr eine ausnahmsweise Preßfreiheit dazu gehört hätte, um das vorhandene Bedürfnis zu befriedigen.

ad. 2. Die Presse über die Moselangelegenheiten ist jedenfalls nur ein Teil der preußischen politischen Presse. Um daher ihren Zustand vor der oft beregten Kabinettsordre zu ermitteln, wird es nötig sein, einen raschen Blick auf den Zustand der gesamten preußischen Presse vor dem Jahre 1841 zu werfen. Wir lassen einen Mann von anerkannt loyaler Gesinnung sprechen:

"Still und ruhig", heißt es in "Preußen und Frankreich" von David Hansemann, zweite Auflage, Leipzig 1834, p. 272, "still und ruhig entwickeln sich die allgemeinen Ideen und die Dinge um so unbemerkter in Preußen, als die Zensur keine gründliche Erörterung der den Staat betreffenden politischen und selbst staatswirtschaftlichen Fragen in preußischen Tagesschriften gestattet, wenn die Abfassung auch noch so anständig und gemessen ist; unter einer gründlichen Erörterung kann nur eine solche verstanden werden, wo die Gründe und die Gegengründe vorgetragen werden dürfen; gründlich kann fast keine staatswirtschaftliche Frage erörtert werden, wenn nicht auch die Beziehungen derselben auf innere und äußere Politik untersucht <191> werden, denn nur bei wenigen, vielleicht bei keiner einzigen staatswirtschaftlichen Frage finden diese Beziehungen nicht statt. Oh diese Ausübung der Zensur zweckmäßig sei, ob die Zensur überhaupt anders als auf solche Weise nach dem Zustande der Regierung in Preußen ausgeübt werden könne, darauf kommt es hier nicht an; genug, so ist's."

Bedenkt man ferner, daß schon der § II des Zensuredikts vom 19. Dezember 1788 lautet:

"Die Absicht der Zensur aber ist keineswegs, eine anständige, ernsthafte und bescheidene Untersuchung der Wahrheit zu hindern oder sonst den Schriftstellern irgendeinen unnützen und lästigen Zwang aufzuerlegen";

findet man im Artikel II des Zensuredikts vom 18. Oktober 1819 die Worte wieder:

"Die Zensur wird keine ernsthafte und bescheidene Untersuchung der Wahrheit hindern noch den Schriftstellern ungebührlichen Zwang auferlegen";

vergleicht man hiermit die Eingangsworte der Zensurinstruktion vom 24 Dezember 1841:

"Um schon jetzt die Presse von unstatthaften, nicht in der Allerhöchsten Absicht liegenden Beschränkungen zu befreien, haben Seine Majestät der König durch eine an das Königliche Staatsministerium [...] erlassene Allerhöchste Kabinettsordre jeden ungebührlichen Zwang der schriftstellerischen Tätigkeit ausdrücklich zu mißbilligen und [...] uns zu ermächtigen geruht, die Zensoren zur angemessenen Beachtung des Artikel II des Zensuredikts vom 18, Oktober 1819 von neuem anzuweisen";

erinnert man sich endlich der folgenden Worte:

"Der Zensor kann eine freimütige Besprechung auch der inneren Angelegenheiten sehr wohl gestatten. - Die unverkennbare Schwierigkeit, hierfür die richtigen Grenzen aufzufinden, darf von dem Streben, der wahren Absicht des Gesetzes zu genügen, nicht abschmecken noch zu jener Ängstlichkeit verleiten, wie sie nur zu oft schon zu Mißdeutungen über die Absicht des Gouvernements Veranlassung gegeben hat";

so scheint nach allen diesen offiziellen Äußerungen die Frage: warum bei dem Wunsche von seiten der Behörden, die Moselzustände möglichst freimütig und öffentlich besprochen zu hören, Zensurhindernisse stattgefunden? sich vielmehr in die allgemeinere Frage zu verwandeln, warum trotz der "Absicht des Gesetzes", der "Absicht des Gouvernements" und endlich der "Allerhöchsten Absicht" die Presse eingestandenermaßen noch im Jahre 1841 "von unstatthaften Beschränkungen" zu befreien und die Zensur im Jahre 1841 an den Artikel II des Edikts von 1819 zu erinnern war! In bezug auf die Moselgegend namentlich würde jene Frage sich dahin formulieren, nicht, welche speziellen Preßhindernisse stattgefunden, sondern vielmehr, <192> welche speziellen Preßbegünstigungen diese teilweise Besprechung der innern Zustände zu einer möglichst freimütigen und öffentlichen Besprechung ausnahmsweise begeistet hätten?

Über den innern Gehalt und den Charakter der politischen Literatur und Tagespresse vor der beregten Kabinettsordre verständigen am klarsten wohl folgende Worte der Zensurinstruktion:

"Auf diesem Wege darf man hoffen, daß auch die politische Literatur und die Tagespresse ihre Bestimmung besser erkennen, einen würdigeren Ton sich aneignen und es künftig verschmähen werden, durch Mitteilungen gehaltloser, aus fremden Zeitungen entlehnter Korrespondenzen etc. etc. auf die Neugierde ihrer Leser zu spekulieren ... Es ist zu erwarten, daß dadurch eine größere Teilnahme an vaterländischen Interessen erweckt und so das Nationalgefühl erhöht wird."

Es scheint sich hienach zu ergeben, daß, wenn durchaus keine speziellen Maßregeln eine freimütige und öffentliche Besprechung der Moselzustände verhinderten, der allgemeine Zustand der preußischen Presse selbst ein unbesiegbares Hindernis sowohl der Freimütigkeit, als der Öffentlichkeit sein mußte. Fassen wir die angezogenen Stellen der Zensurinstruktion zusammen, so besagt sie, daß: die Zensur überaus ängstlich und eine äußere Schranke einer freien Presse war, daß hiemit Hand in Hand die innere Beschränktheit der Presse ging, die den Mut und selbst das Streben aufgegeben hatte, sich über den Horizont der Neuigkeit zu erheben, daß endlich im Volke selbst die Teilnahme an vaterländischen Interessen und das Nationalgefühl verlorengegangen waren, also gerade die Elemente, welche nicht nur die schöpferischen Mächte einer freimütigen und öffentlichen Presse, sondern auch die Bedingungen sind, innerhalb deren allein eine freimütige und öffentliche Presse wirken und volkstümliche Anerkennung finden kann, eine Anerkennung, welche die Lebensatmosphäre der Presse bildet, ohne welche sie rettungslos hinsiecht.

Wenn also Maßregeln der Behörden eine unfreie Presse schaffen können, so liegt es dagegen außerhalb der Macht der Behörden, bei der Unfreiheit des allgemeinen Preßzustandes speziellen Fragen eine möglichst freimütige und öffentliche Besprechung zu sichern, indem selbst freimütige Worte, welche über einzelne Gegenstände etwa die Spalten der Zeitungen füllten, keine allgemeine Teilnahme hervorzurufen, sich also keine wahrhafte Öffentlichkeit zu verschaffen wüßten.

Es kömmt hinzu, was Hansemann richtig bemerkt, daß vielleicht bei keiner einzigen staatswirtschaftlichen Frage die Beziehungen auf innere und äußere Politik nicht stattfinden. Die Möglichkeit einer freimütigen und öffentlichen Besprechung der Moselzustände setzt also die Möglichkeit einer frei- <193> mütigen und öffentlichen Besprechung der ganzen "innern und äußern Politik" voraus. Diese darzubieten, lag so wenig in der Macht einzelner Verwaltungsbehörden, daß vielmehr nur der unmittelbar und entschieden ausgesprochene Wille des Königs selbst hier bestimmend und nachhaltig eingreifen konnte.

Wenn die öffentliche Besprechung nicht freimütig war, war die freimütige Besprechung nicht öffentlich. Sie beschränkte sich auf dunkle Lokalblätter, deren Gesichtskreis natürlich über den Kreis ihrer Verbreitung nicht hinausging und nach dem vorherigen nicht hinausgehen konnte. Zur Charakteristik solcher Lokalbesprechungen geben wir einige Exzerpte aus verschiedenen Jahrgängen des Bernkasteler "Gemeinnützigen Wochenblatts". In dem Jahrgang 1835 heißt es:

"Im Herbste 1833 machte eine auswärtige Person in Erden 5 Ohm Wein. Um das Fuder voll zu machen, kaufte sie 2 Ohmen dazu für den Preis von 30 Talern. Das Faß kostete 9 Taler, Moststeuer 7 Taler 5 Silbergroschen, Einherbsten 4 Taler, Kellermiete 1 Taler 3 Silbergroschen, Kieferlohn 16 Silbergroschen; folglich, ungerechnet die Baukosten, eine reine Ausgabe von 51 Taler 24 Silbergroschen. Am 10. Mai wurde das Faß Wein verkauft zu 41 Taler. Noch ist zu bemerken, daß dieser Wein gut ist und nicht aus Notdurft verkauft worden, auch in keine wucherische Hände gefallen ist." (p. 87.) "Am 21. November wurden auf'm Markt zu Bernkastel 3/4 Ohm 1835 Wein zu 14 Silbergroschen - vierzehn Silbergroschen - versteigert und am 27. ejusdem <desselben Monats> 4 Ohm samt Fuderfaß zu 11 Taler, wobei noch zu bemerken ist, daß am verflossenen Michelstag das Fuderfaß zu 11 Taler eingekauft wurde." (p. 267 ibid.)

Unter dem 12. April 1836 eine ähnliche Anzeige.

Noch mögen hier einige Auszüge aus dem Jahrgange 1837 stehen:

"Am 1. dieses Monats ward in Kinheim in öffentlicher Versteigerung vor Notar ein junger vierjähriger Wingert von zirka 200 Stöcken, gehörig aufgepfählt, mit gewöhnlichem Zählungszustand der Stock zu 11/2 Pfennig überlassen. Im Jahre 1828 kostete derselbe Stock dort 5 Silbergroschen." (p. 47.) "Eine Witwe zu Graach ließ ihren Herbst um die Hälfte des Ertrages eintuen, und für ihren Anteil wurde ihr ein Ohm Wein zuteil, welches sie gegen 2 Pfund Butter, 2 Pfund Brot und 1/2 Pfund Zwiebeln veräußerte." (in Nr. 37 ibid.) "Am 20. dieses Monats wurden hier zwangsweise versteigert: 8 Fuder 365r Wein von Graach und Bernkastel, teilweise aus den besten Lagen, und 1 Fuder 35er Wein von Graach. Es wurden 135 Taler 15 Silbergroschen im ganzen erlöst (Faß mit), demnach kostet ein Fuder ins andere zirka 15 Taler. Das Faß mag allein 10-12 Taler gekostet haben. Was bleibt nun dem armen Winzer für seine Baukosten übrig? Ist es denn nicht möglich, daß dieser schrecklichen Not abgeholfen wird?!! (Eingesandt)" (Nr. 4, p. 30.)

<194> Man findet hier also nur einfache Erzählung von Tatsachen, die, manchmal von einem elegischen kurzen Nachwort begleitet, eben durch ihre ungeschminkte Einfachheit erschüttern mögen, schwerlich aber den Charakter einer freimütigen und öffentlichen Besprechung der Moselzustände auch nur ansprechen dürften.

Wenn nun ein einzelner und gar der zahlreiche Teil einer Bevölkerung von einem auffallenden und erschreckenden Unglücke betroffen werden, und niemand bespricht das Unglück, niemand behandelt es als eine denk- und sprechwürdige Erscheinung, so müssen sie schließen, entweder daß die andern nicht sprechen dürfen oder daß sie nicht sprechen wollen, weil sie die der Sache beigelegte Wichtigkeit für illusorisch halten. Die Anerkennung seines Unglücks, diese geistige Beteiligung an demselben, ist aber selbst dem ungebildetsten Winzer ein Bedürfnis -, schlösse er auch nur, daß, wo alle denken, viele sprechen, bald auch einige handeln werden. Wäre es wirklich erlaubt gewesen, frei und offen die Moselzustände zu diskutieren, so geschah es doch nicht, und es ist klar, daß das Volk nur an das Wirkliche glaubt, nicht an die freimütige Presse, die existieren kann, sondern an die freimütige Presse, die wirklich existiert. Hatte der Mosellaner also vor Erscheinen der Allerhöchsten Kabinettsordre zwar seine Not empfunden, zwar sie bezweifeln gehört, nur nichts von einer öffentlichen und freimütigen Presse vernommen, sah er dagegen nach Erscheinen dieser Kabinettsordre diese Presse gleichsam aus dem Nichts hervorspringen, so scheint sein Schluß, daß die königliche Kabinettsordre die einzige Ursache dieser Preßbewegung, an welcher der Mosellaner nach den früher ausgeführten Gründen einen vorzugsweisen, weil unmittelbar durch wirkliches Bedürfnis bedingten Anteil nahm, wenigstens ein sehr volkstümlicher Schluß gewesen zu sein. Endlich scheint es, daß auch, abgesehen von der Volkstümlichkeit dieser Meinung, eine kritische Prüfung zu demselben Resultate gelangen wird. Die Eingangsworte der Zensurinstruktion vom 24. Dezember 1841, daß

"Seine Majestät der König jeden ungebührlichen Zwang der schriftstellerischen Tätigkeit ausdrücklich zu mißbilligen und unter Anerkennung des Werts und des Bedürfnisses einer freimütigen und anständigen Publizität ... geruht etc.",

diese Eingangsworte versichern der Presse eine besondere königliche Anerkennung, also eine Staatsbedeutung. Daß ein königliches Wort so bedeutend zu wirken vermag und von dem Mosellaner selbst als ein Wort von magischer Kraft, als ein Universalmittel gegen alle seine Leiden begrüßt wurde, das scheint nur von der echt royalistischen Gesinnung der Mosellaner und ihrer nicht abgemessenen, sondern überströmenden Dankbarkeit zeugen zu können.

["Rheinische Zeitung" Nr. 20 vom 20. Januar 1843]

<195> ad 3. Wir haben zu zeigen gesucht, daß das Bedürfnis einer freien Presse aus der Eigentümlichkeit der Moselzustände notwendig hervorging. Wir haben ferner gezeigt, wie die Verwirklichung dieses Bedürfnisses vor dem Erscheinen der Allerhöchsten Kabinettsordre, wenn auch nicht durch spezielle Preßerschwerungen, schon durch den allgemeinen Zustand der preußischen Tagespresse verhindert worden wäre. Wir werden endlich zeigen, daß wirklich spezielle Umstände einer freimütigen und öffentlichen Besprechung der Moselzustände feindlich entgegentraten. Auch hier müssen wir zunächst den leitenden Gesichtspunkt unserer Darstellung hervorheben und die Macht der allgemeinen Verhältnisse in dem Willen der handelnden Persönlichkeiten wiedererkennen. Wir dürfen in den speziellen Umständen, welche eine freimütige und öffentliche Besprechung der Moselzustände verhinderten, nichts erblicken als die tatsächliche Verkörperung und augenfällige Erscheinung der oben entwickelten allgemeinen Verhältnisse, nämlich der eigentümlichen Lage der Verwaltung zu der Moselgegend, des allgemeinen Zustandes der Tagespresse und der öffentlichen Meinung, endlich des herrschenden politischen Geistes und seines Systems. Waren diese Verhältnisse, wie es denn scheint, die allgemeinen, unsichtbaren und zwingenden Mächte jener Zeit, so wird es kaum der Andeutung bedürfen, daß sie auch als solche wirken, in Tatsachen ausschlagen und als einzelne, dem Schein nach willkürliche Handlungen sich äußern mußten. Wer diesen sachlichen Standpunkt aufgibt, verfängt sich einseitig in bittere Empfindungen gegen Persönlichkeiten, in welchen die Härte der Zeitverhältnisse ihm gegenübertrat.

Man wird zu den speziellen Preßhindernissen nicht nur einzelne Zensurschwierigkeiten, sondern ebensosehr alle speziellen Umstände zählen müssen, welche die Zensur überflüssig machten, weil sie einen Gegenstand der Zensur nicht einmal versuchsweise aufkommen ließen. Wo die Zensur in auffallende, anhaltende und harte Kollisionen mit der Presse gerät, da kann man mit ziemlicher Sicherheit schließen, daß die Presse schon an Lebendigkeit, Charakter und Selbstgewißheit gewonnen hat, denn nur eine wahrnehmbare Aktion erzeugt eine wahrnehmbare Reaktion. Wo dagegen die Zensur nicht da ist, weil die Presse nicht da ist, obgleich das Bedürfnis einer freien, also zensurfähigen Presse vorhanden, da muß man die Vorzensur in Umständen suchen, welche den Gedanken schon in seinen anspruchsloseren Formen zurückgeschreckt haben.

Es kann nicht unser Zweck sein, eine vollständige Darstellung dieser speziellen Umstände auch nur annähernd zu geben; das hieße die Zeit- <196> geschichte seit 1830, soweit sie die Moselgegend berührt, schildern wollen. Wir glauben unsere Aufgabe gelöst zu haben, wenn wir nachweisen, daß das freimütige und öffentliche Wort in allen Formen, in der Form der mündlichen Rede, in der Form der Schrift, in der Form des Drucks, sowohl des noch nicht zensierten als auch des schon zensierten Drucks, mit speziellen Hindernissen in Konflikt geriet.

Die Verstimmung und die Mutlosigkeit, welche ohnehin jene moralische Kraft, die zur öffentlichen und freimütigen Besprechung gehört, bei einer notleidenden Bevölkerung brechen, wurden namentlich genährt durch die auf vielfache Denunziationen notwendig gewordenen gerichtlichen Verurteilungen "wegen Beleidigung eines Beamten im Dienste oder in bezug auf seinen Dienst".

Eine derartige Prozedur lebt noch im frischen Andenken vieler Moselwinzer. Ein wegen seiner Gutmütigkeit besonders beliebter Bürger äußerte in scherzhafter Weise zu der Magd eines Landrats, welcher abends zuvor in fröhlicher Gesellschaft bei Gelegenheit der Feier des Königsgeburtstages fleißig dem Becher zugesprochen hatte: "Euer Herr war gestern abend etwas bespitzt." Er ward wegen dieser unschuldigen Äußerung öffentlich vor das Zuchtpolizeigericht zu Trier gestellt, jedoch, wie sich von selbst versteht, freigesprochen.

Wir haben gerade dieses Beispiel gewählt, weil sich eine einfache Reflexion notwendig an dasselbe anknüpft. Die Landräte sind die Zensoren in ihren respektiven Kreisstädten. Die landrätliche Verwaltung wird aber mit Einbegriff der ihr untergeordneten amtlichen Sphären vornehmster, weil nächster Gegenstand der Lokalpresse sein. Wenn es nun überhaupt schwer ist, in eigner Sache zu richten, so müssen Vorfälle der oben erwähnten Art, welche eine krankhaft reizbare Vorstellung von der Unantastbarkeit der amtlichen Stellung dokumentieren, schon die bloße Existenz der landrätlichen Zensur zu einem hinreichenden Grund für die Nichtexistenz einer freimütigen Lokalpresse machen.

Sehen wir also die unbefangene und anspruchslose mündliche Rede den Weg zum Zuchtpolizeigericht bereiten, so hat die schriftliche Form des freien Worts, die Petition, welche noch weit von der Öffentlichkeit der Presse entfernt ist, denselben zuchtpolizeilichen Erfolg. Wie dort die Unantastbarkeit der amtlichen Stellung, tritt hier die Unantastbarkeit der Landesgesetze der freimütigen Sprache entgegen.

Durch eine "Kabinettsordre" vom 6. Juli 1836, worin es unter anderm heißt, der König sende seinen Sohn in die Rheinprovinz, am von deren Zuständen Kenntnis zu nehmen, fühlten sich einige Landleute aus dem Regie- <197> rungsbezirke Trier veranlaßt, ihren "Landtagsabgeordneten" zu ersuchen, ihnen eine Bittschrift für den Kronprinzen anzufertigen. Sie gaben zugleich die einzelnen Beschwerdepunkte an. Der Landtagsabgeordnete <Valdenaire>, um die Wichtigkeit der Petition durch eine größere Anzahl von Petitionären zu erhöhen, schickte einen Boten in die Umgegend und veranlaßte dadurch die Unterschriften von 160 Bauern. Die Petition lautete folgendermaßen:

"Da wir unterschriebenen Einwohner des Kreises ..., Regierungsbezirk Trier, unterrichtet, daß unser guter König zu uns Seine Königliche Hoheit den Kronprinzen sendet, um unsere Lage zu beherzigen, und um Seiner Königlichen Hoheit die Mühe zu ersparen, die Klagen vieler einzelnen anzuhören, beauftragen wir hiermit unseren Landtagsabgeordneten, Herrn ..., Seiner Königlichen Hoheit, des besten Königs Sohn, dem Kronprinzen von Preußen, untertänigst anzutragen, daß:

1. Wenn wir unsere überflüssigen Produkte, besonders an Vieh und Wein, nicht absetzen können, uns unmöglich ist, die in allen Verhältnissen zu hohen Steuern zu bezahlen, weswegen eine bedeutende Verminderung derselben gewünscht wird, da wir sonst Hab' und Gut den Steuerboten belassen, wie Anlage beweiset; (enthält einen Zahlungsbefehl eines Steuerboten von 1 Reichstaler 25 Silbergroschen 5 Pfennig).

2. Daß Seine Königliche Hoheit nicht von unserer Lage urteilen möge, nach den Demonstrationen von unzähligen, gar zu hoch besoldeten Angestellten, Pensionierten, Diätaren, Zivil und Militär, Rentner und Gewerbetreibenden, welche in den Städten einem Luxus von unseren so im Preise gefallenen Produkten wohlfeil leben, was hingegen in der armen Hütte des verschuldeten Landmannes nicht gefunden wird und für ihn ein empörender Kontrast ist. Wo früher 27 angestellt mit 29 000 Talern, jetzt 63 Beamte ohne Pensionierte mit l05 000 Talern besoldet.

3. Daß unsere Kommunalbeamten direkt durch die Gemeinen, wie früher, gewählt erden mögen.

4. Daß die Zollanmeldungsbüros nicht stundenlang während des Tages geschlossen, sondern jede Stunde offenbleiben, damit der Landmann, der einige Minuten unverschuldet sich verspätet, nicht fünf bis sechs Stunden, ja die ganze Nacht auf der Straße erkalten oder am Tage verbrennen muß, da doch der Beamte stets für das Volk bereit sein soll und muß.

5, Daß, was zufolge § 12 des Gesetzes vorn 28. April 1828, erneuert durch Amtsblatt der Königlichen Regierung vom 22. August letzthin unter Strafe verboten worden, 2 Fuß vom Grabenrande zu ackern, bei durchführenden Straßen gehoben und den Eigentümern erlaubt werde, ihr sämtliches Land bis an den Chausseegraben pflügen zu können, damit dasselbe nicht von den Wegewärtern den Eigentümern geraubt werde."

Euer Königlichen Hoheit ergebenste Untertanen.

(Folgen nun die Unterschriften.)

<198> Diese Petition, die der Landtagsabgeordnete dem Kronprinzen überreichen wollte, wurde von andrer Seite in Empfang genommen mit dem ausdrücklichen Versprechen, sie Seiner Königlichen Hoheit übergehen zu wollen. Nie erfolgte eine Antwort, wohl aber wurde gegen den Landtagsabgeordneten, als den Urheber einer Petition, worin "frecher, unehrerbietiger Tadel gegen die Landesgesetze" ausgesprochen sei, von seiten der Gerichte eine Verfolgung eingeleitet. Infolge dieser Klage wurde der Landtagsabgeordnete in Trier zu sechsmonatlicher Gefängnisstrafe und in die Kosten verurteilt, diese Strafe aber vom Appellhofe dahin modifiziert, daß nur der Kostenpunkt des fraglichen Urteils belassen werde, und zwar, weil das Benehmen des Inkriminierten nicht ganz frei von Unbesonnenheit gewesen sei und er somit zu dem Prozesse Veranlassung gegeben habe. Der Inhalt der Petition selbst wird dagegen keineswegs für strafbar erkannt.

Wenn man erwägt, daß die fragliche Petition teils durch den Zweck der kronprinzlichen Reise, teils durch die Stellung des Inkriminierten als Landtagsabgeordneten in der ganzen Umgebung zu einem besonders wichtigen und entscheidenden Ereignis sich steigern und die öffentliche Aufmerksamkeit in hohem Grade erregen mußte, so möchten ihre Konsequenzen eine öffentliche und freimütige Besprechung der Moselzustände nicht eben provoziert noch hierauf bezügliche Wünsche der Behörden wahrscheinlich gemacht haben.

Wir kommen nun zum eigentlichen Preßhindernis, zur Zensurverweigerung, welche nach obigen Andeutungen in dem Grade zu den Seltenheiten gehören mußte, als der Versuch einer zensurfähigen Besprechung der Moselzustände zu den Seltenheiten gehörte.

Einem Schöffenratsprotokoll, worin nebst einigen barocken auch einige freimütige Worte sich befinden, wurde von der landrätlichen Zensur die Druckerlaubnis verweigert. Die Beratung fand im Schöffenrat statt, das Ratsprotokoll aber war von dem Bürgermeister abgefaßt. Seine Eingangsworte lauten:

"Meine Herren! Das Land an der Mosel zwischen Trier und Koblenz, zwischen der Eifel und dem Hundsrücken ist äußerlich ganz arm, weil dasselbe vom Weinbau allein lebt und diesem durch die Handelsverträge mit Deutschland der Todesstoß gegeben ist; das gedachte Land ist aber auch geistig arm" etc.

Daß endlich eine öffentliche und freimütige Besprechung, wenn sie alle angegebenen Hindernisse überwunden und ausnahmsweise in die Zeitungsspalten gelangt war, als eine Ausnahme behandelt und hinterher annihiliert wurde, möge ebenfalls eine Tatsache bezeugen. Ein vor mehreren Jahren von dem Professor der Kameralwissenschaften Kaufmann zu Bonn "über den Not- <199> stand der Winzer an der Mosel etc." in der "Rhein- und Mosel-Zeitung" abgedruckter Aufsatz wurde, nachdem er während drei Monaten in verschiedenen öffentlichen Blättern kursiert hatte, von der Königlichen Regierung verboten, welches Verbot noch jetzt faktisch fortbesteht.

Hiermit glaube ich nun die Frage über das Verhältnis der Moselgegend zur Kabinettsordre vom 10. Dezember, der auf sie gegründeten Zensurinstruktion vom 24. Dezember und der seitherigen freieren Preßbewegung genügend beantwortet zu haben. Es bleibt noch übrig, meine Behauptung: "Der desolate Zustand der Winzer war höheren Orts lange in Zweifel gezogen und ihr Notgeschrei für freches Gekreisch gehalten worden", zu motivieren. Man wird den quäst[ionierten] Satz in zwei Teile auflösen können: "Der desolate Zustand der Winzer war höhern Orts lange in Zweifel gezogen worden" und: "Ihr Notgeschrei war für freches Gekreisch gehalten worden."

Der erste Satz, glaube ich, wird keines Beweises mehr bedürfen. Der zweite Satz: "Ihr Notgeschrei war für freches Gekreisch gehalten worden", kann nicht geradezu, wie es der Herr Oberpräsident tut, aus dem ersten Satze interpretiert werden: "Ihr Notgeschrei war höhern Orts für freches Gekreisch gehalten worden." Indessen auch diese Interpolation kann gelten, sofern "hohem Orts" und "amtlichen Orts" für gleichbedeutend genommen werden,

Daß von einem "Notgeschrei" der Winzer nicht nur figürlich, sondern im eigentlichen Sinne des Wortes gesprochen werden konnte, wird sich aus den bisherigen Mitteilungen ergeben haben. Daß diesem Notgeschrei einerseits sein Mangel an Berechtigung vorgeworfen, die Schilderung der Not selbst als eine grelle, aus selbstsüchtigen schlechten Motiven entsprungene Übertreibung betrachtet, andererseits die Klage und die Bitte dieser Not als "frecher, unehrerbietiger Tadel gegen die Landesgesetze" verstanden wurde, diese Prämissen haben ein Regierungsreferat und ein Kriminalverfahren bewiesen. Daß ferner ein übertreibendes, die Sachverhältnisse verkennendes, von schlechten Motiven outriertes, frechen Tadel gegen die Landesgesetze involvierendes Schreien identisch mit "Gekreisch", und zwar "frechem Gekreisch", ist, dürfte wenigstens keine fernliegende oder unredlich gesuchte Behauptung sein. Daß also schließlich an die Stelle der einen Seite die andere gesetzt werden konnte, scheint sich einfach als logische Konsequenz zu ergeben.


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Letzte Änderung: 9. April 2001 - © Kunst des Denkens 2000-2001